Die Zahl der Drogentoten in München ist erneut gestiegen. Insgesamt 86 Menschen sind dieses Jahr bisher an den Folgen von Drogengebrauch verstorben. Stand jetzt sind dies bereits 13 Menschen mehr als im Vorjahr und 22 mehr als vor 2 Jahren.
Viele dieser Verstorbenen kannten wir gut und begleiteten sie ein Stück auf ihrem Weg.
Auch an unserem gestrigen Tourensonntag kamen wir gemeinsam mit unserem Seelsorger Norbert für eine kleine Gedenkfeier zusammen um uns und unseren Gästen die Möglichkeit zu geben uns zu verabschieden und in Würde Lebewohl zu sagen.
Ein schwerer Abschied stand uns gestern von einem unserer obdachlosen Schützlinge bevor, dessen Seele sich Ende September auf die Reise machte.
Kennengelernt haben wir ihn auf unserer allerersten Tour, damals vor knapp 3 Jahren am Münchner Hauptbahnhof.
Ein zu diesem Zeitpunkt noch sehr gepflegter Mann mittleren Alters, der als Polier auf einer Baustelle durch die Pandemie erst seinen Job und schlussendlich sein Zuhause verlor.
Über die Monate hinweg mussten wir miterleben wie ihn das harte Leben auf der Straße zeichnete und die Abwärtsspirale immer mehr von seinem Sein verschluckte. Der Alkohol wurde zu seinem stetigen Begleiter. Gerade die Alkoholsucht ist bei vielen obdachlos gewordenen Menschen eine häufige Begleiterscheinung, die nicht zu verurteilen ist, weil das Leben und die Umstände auf der Straße meist nicht anders zu überstehen sind.
Im letzen Winter wurde unser Schützling sehr krank. Durch einen eingefangenen Keim, musste der rechte Daumen amputiert werden und er verlor Stück für Stück weitere Teile der Hand.
Auf Anraten seines Arztes müsse er dringend „von der Straße runter“, weil die Kälte und die Folge der schlechten Wundheilung ihm sonst irgendwann seinen ganzen Arm kosten würde.
Gerade im letzen Jahr, hat sich unsere Anja ganz intensiv um ihn gekümmert. Sie hatte mit Behörden und Einrichtungen korrespondiert und wir haben die Kosten für 4 Monate in einer Unterkunft übernommen.
Als „geduldeter“ EU-Bürger, ohne deutsche Staatsbürgerschaft, hatte er nach weitgehender Genesung der Hand allerdings kein Anrecht mehr in der Unterkunft zu bleiben, obwohl sein gesundheitlicher Allgemeinzustand dies eigentlich vorausgesetzt hätte. Trotzdessen dass die Kosten für die Übernachtungen unsererseits gedeckt gewesen wären, musste der, mittlerweile als arbeitsunfähig erklärte Mann, schlussendlich zurück auf die Straße. Wir waren fassungslos über die Vorgehensweise der Behörden.
Bedingt durch seinen EU-Bürger Status hätte er für eine dauerhafte Unterbringung einen lückenlosen 5-jährigen Aufenthalt in Deutschland nachweisen müssen, was als Obdachloser ohne Meldeadresse schier unmöglich war. Dennoch setzen wir alle Hebel in Bewegung um ihm irgendwie ein dauerhaftes Dach über dem Kopf zu ermöglichen. Die Suche blieb leider erfolglos.
Auch haben wir versucht ihn in einer Einrichtung mit therapeutischer Unterstützung unterzubringen, in der er hätte leben und arbeiten können. Doch auch hier konnten wir wegen seiner „Umstände“ keine Kostenübernahme bewirken.
Auf Grund einer dreimonatigen, nicht nachweisbaren Lücke bei der Aufenthaltsbebörde war es trotz aller Bemühungen nicht möglich die 5 Jahre zu belegen, da er vor der Pandemie für 3 Monate in Österreich gemeldet und auf einer Baustelle in Salzburg tätig war. Obwohl dieser Mann, vor seiner Obdachlosigkeit, bereits 30 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatte, ist er mit seiner Geschichte durch das Raster des Systems gefallen.
Fünf Monate hätte er noch durchhalten müssen um diese Lücke zu schließen und Anspruch auf Bürgergeld und eine Unterbringung zu haben.
Leider verstarb er am 24.09.2023 einsam und unerwartet unter der Wittelsbacher Brücke in München. Ohne ausreichende Hilfe des Systems – einfach im Stich gelassen.
Dieser Verlust hat uns alle – im Besonderen unsere Anja, die eine tiefe Verbundenheit und eine enge Freundschaft zu ihren Schützling entwickelte – schwer getroffen. Von vielen Selbstzweifeln getroffen, ob sie nicht hätte doch noch mehr für ihn tun können, fand sie gestern ein paar trauernde Worte zum Abschied.
Jeder Verlust schmerzt uns sehr. Jedoch zeigt es uns auch, wie wichtig unsere Arbeit auf der Straße ist. Auch wenn uns bewusst sein muss, dass wir nicht jeden „retten“ können.
Wir sind dankbar, dass wir diese Menschen kennenlernen und ein Stück begleiten durften.